ANMERKUNGEN
 
 

1. Ich mag gerne zitieren. Manch eine/r mag es exzessiv finden. Sie mögen es mir nachsehen.

2. Die Verabschiedung der Platform of Action in Peking (im Sommer 1995), mit der die Regierungen der Welt in sechs Kapiteln mit 363 Paragraphen aufgefordert werden, das hartnäckigste Unrecht dieser Welt zu bekämpfen, nämlich „die brutale oder subtile, aber allgegenwärtige Unterdrückung der Hälfte der Menschheit, der Frauen“ - hat nicht mehr Wert als eine morali-sche Referenz; denn den politischen Druck müssen die Frauen selbst erzeugen.
Doch die Abschaffung des Patriarchats ist schwerer denn je. „Globalisierung der Wirtschaft heißt noch mehr Ausbeutung der billigen Arbeitskraft Frau; Gewalt gegen Frauen hat zugenommen; der internationale Sexsklavenhandel treibt schreckliche Blüten; die politische Teilhabe aber hat, weltweit gesehen, einen Tiefststand erreicht.“
Der schärfste Konflikt besteht jedoch zwischen säkularen und fundamentalistischen Staaten. „Fast wortgleich verdammen katholischer, vom Vatikan angeführter, und islamischer Fundamentalismus Buchstaben und Geist des Menschenrechts-Dokuments: Es gefährde nationale Souveränität, Ehe, Familie, Mutterschaft“.

3. Unter dem Begriff Theorie - bzw. der Konkretisierung einer Theorie im Sinne von: veranschaulichen, verdeutlichen, im einzelnen ausführen - verstehe ich Aussagen und - je nach Ausmaß - Systeme von Aussagen über bestimmte Zusammenhänge innerhalb eines bestimmten Wirklichkeitsausschnitts.

Ein Wirklichkeitsausschnitt besteht für mich, in Ahnlehnung an Ausführungen von Silvia Staub-Bernasconi, aus:
 a) bestimmten Einheiten (Atome, Moleküle, Organismen, Menschen, Gruppen, Organisationen, Gesellschaften, Symbolsy-stemen), deren Elemente oder Komponenten und deren Merkmalen,
b) dem Beziehungsgefüge dieser Merkmale und
c) den Prozessen, welche zur Entstehung, Erhaltung wie Veränderung der Einheiten/Elemente/Merkmale und ihres Bezie-hungsgefüges beigetragen haben und nach wie vor beitragen.  (vgl.: Staub-Bernasconi: 1994: 77)

Mit Wirklichkeit ist in dieser Arbeit die „durch den Beobachter erkannte, phänomenale Welt gemeint, der Begriff Realität steht für die der Erkenntnis zugrunde liegende transphänomenale Welt“.  (vgl.: Schlippe; Schweitzer 1996: 87)

4. In der Geschlechtsidentität sehe ich den momentanen Ausdruck der individuellen Verortung des Selbst innerhalb eines Systems der Geschlechtlichkeit. In diesem Prozeß der geschlechtlichen Individuation sind jedoch sexuelle Identität und soziale Identität nicht zu trennen.
        Damit spielt in den Prozeß der Bildung einer Geschlechtsidentität nicht nur die individuelle „sexuelle Orientierung in der Objektwahl“ eine Rolle, es sind auch die sozialen Prozesse von Bedeutung, in denen dem jeweiligen Menschen vermittelt wird, welche bestimmten Kompetenzen, Verhaltensweisen und Praxisfelder dem jeweiligen Geschlecht gesellschaftlich zugeordnet sind.
        Diese sozialen Prozesse können nach verschiedenen Organisationsprinzipien ablaufen (Trennung und Hierarchisierung, Egalität oder Komplementarität), und bestimmen grundlegend das Geschlechterverhältnis. Bei einem hierarchisch organisierten Geschlechterverhältnis „ist ´Geschlecht` ein Schichtungskriterium, das soziale Ungleichheit markiert“.
(Becker-Schmidt/Knapp 1995: 18)

5. Bei einem Menschen, der in einer Beziehung zu etwas anderem steht, verlaufen, so Andersen, zwei ´innere` Prozesse und ein ´äußerer` Prozeß parallel zueinander. Diese Prozesse bestehen aus fortwährenden „Ausweitung(en) der Akte des Wahrnehmens, Erkennens und Handelns“. Andersen denkt dabei an zwei ´innere` Gespräche und ein ´äußeres`. Ein Teil des ´inneren` Gesprächs handelt davon, was ein bedeutsamer Inhalt des ´äußeren` Gesprächs ist und wie dieses ´äußere` Gespräch am besten ablaufen kann. „Anscheinend spricht ein Mensch ständig mit sich selbst darüber, wie er sich durch Konversation anschließt, um neue und hilfreiche Perspektiven (Beschreibungen und Erklärungen) zu gewinnen, ohne das die eigene Integrität verletzt wird.“ (vgl.: Andersen 1990: 42)

6.  Die Konzeption eines solchen Verständnis von Autopoiese ist „durchaus geeignet, die häufig zu beobachtende Ten-denz zur Wiederholung von Verhaltensmustern, mit denen sich Menschen immer wieder selbst Schaden, aus den selbstreferti-ellen und rekursiven Interpretationen der Betroffenen zu erklären. Veränderungen erfordern angesichts dieser selbstbezüglichen Widerborstigkeit sozialer Systeme ein Sich-Einlassen auf ihre Eigenlogik und ihren Eigensinn.“    (vgl.: Heiner 1994: 108)

7.   Roth trennt hier, im Gegensatz zu Maturana, zwischen Autopoiese bzw. Leben und Kognition: „Es ist ja das Charakte-ristikum der kognitiven Tätigkeit des Gehirns, daß sie - wenn nur auf irgendeine Weise die Fortexistenz des Organismus gesi-chert ist - von der Verpflichtung zur Überlebensförderung entbunden ist. Die Autonomie des Gehirns ist ganz wesentlich eine Freisetzung von der Existenzerhaltung: Das Gehirn kann sich immer mehr mit Dingen beschäftigen, die nur sehr indirekt oder überhaupt nichts mit Überleben zu tun haben (oder ihm auf Dauer sogar entgegenwirken). Dies ist gerade die Grundlage der spezifischen Leistung menschlicher Kognition, nämlich Konstitution von Wirklichkeit und damit Handlungsplanung zu betreiben, d.h. etwas zu tun, was noch keinen Nutzen für den Organismus hat.“  (Roth 1987: 61)

     „Zugleich aber unterliegt Kognition, indem sie von der Autopoiese (des Organismus) erhalten wird und nicht für ihre eigene materielle Existenz sorgen muß, nicht denselben Gesetzmäßigkeiten, die für die Autopoiese gelten. Sie konstituiert einen grund-sätzlich neuen Seinsbereich, denn sie schafft Prozesse, nämlich die der Selbstbeschreibung, die es in der physikalisch-chemischen Welt der Autopoiese grundsätzlich nicht gibt“. (Roth 1987: 65)

8.   Auch Judith Butler (1991) hält „sex“ für genauso ein Konstrukt kulturell-hegemonialer Machtverhältnisse wie „gender“ und beide für aneinander gekettet, sich gegenseitig bestimmend. Für Butler gibt es „keinen Rückgriff auf den Körper, der nicht bereits durch kulturelle Bedeutung interpretiert ist. Daher kann das Geschlecht keine vordiskursive, anatomische Gegebenheit sein. (...) Man kann nämlich den Körpern keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge.“ (Butler 1991: 26)

9.    Dieses Konstruktionsmodell von Geschlechtskategorien ist keineswegs selbstverständlich: „die Betonung der Gebär-fähigkeit etwa würde andere Modi erwartbar bzw. denkbar werden lassen, z.B. ein Modus, der zwischen ´Ei-Trägern` und ´Sperma-Trägern` unterscheidet“.     (Gildemeister 1992: 232)

10.    Das Selbstkonzept oder auch Selbstschemata läßt sich als internes Selbstmodell bezeichnen in denen das Selbst als das betreffende Individuum abgebildet ist. Das Selbstkonzept hat zwei Komponenten.
Die affektive Komponente des Selbstkonzeptes wird erfaßt als Selbstwert- bzw. Minderwertigkeitsgefühl und als Selbstvertrauen. Die kognitive Komponente beinhaltet das Wissen, das man von sich hat und die Selbstwahrnehmung. Ein wichtiger Aspekt ist dabei das Fähigkeitskonzept, das die Einschätzung eigener Fähigkeiten in Bezug auf die Gegenwart und auf die Zukunft beinhaltet.
(Oerter/Montada 1987: 297)

11.   „Das poststrukturalistische Denken zielt darauf ab, den Ordnungscharakter von Objekten und Beziehungssystemen hervorzuheben, deren Erscheinungsweise und Aufbau systematisch zu ergründen und linguistisch, logisch oder auch poetisch zu beschreiben.“ (Kahlert 1996: 23)

12.   Hiermit wird an die Arbeit Lacans zum Spiegelstadium der frühkindlichen Entwicklung angeknüpft. „Danach ist das Kind sich seiner eigenen (Körper-) Grenzen zunächst völlig unbewußt. Es weiß nicht wo sein eigener Körper aufhört und der seiner Mutter beginnt. Diese präödipale Phase wird abgelöst durch das Spiegelphase, in der das Kind lernen wird, sich als ein Selbst zu erkennen. Lacan will zeigen, daß das Kind erst zwei werden muß, um zu seinem realen Selbst zu finden. Dieser Initial-prozeß der Selbstkonstituierung gilt nach Lacan als Paradigma für alle späteren Beziehungen. Das Selbst findet sich immer nur durch die Reflexion im Anderen.“  (Kroker 1994: 17)

 13.   Im Rahmen dieser Diskussion wird vor allem auf Foucaults Machtdefinition zurückgegriffen. Die Frage, was die Macht ist oder woher sie kommt ist zweitrangig im Vergleich zur viel entscheidenderen Frage nach dem wie der Macht, also nach ihren Mechanismen bzw. ihrer Funktionsweise. „Zu untersuchen sind dabei nicht mehr Personen oder Personengruppen als Machtha-bende und Machtlose, oder besser: nur insofern, als ´Machthaben` und ´weniger Macht haben` Figuren bzw. Positionen in einem variablen Kräfteverhältnis sind. (...) Foucaults Macht wird nicht mehr nur von einer Seite ausgeübt und von anderer erduldet, sondern durchzieht beide Seiten gleichermaßen.“  (Rüter in BauSteineMänner 1996: 80)

Cheryl Rampage (1994) spricht in diesem Zusammenhang von einer persönlichen Autorität, „die ureigenste Form der Macht, nämlich die Macht der Selbstbestimmung, zu handeln statt zu reagieren, die Bedingungen zu wählen, die das eigene Leben bestimmen sollen“. Rampage unterscheidet persönliche Autorität von der Autorität, die aus der Bindung an eine andere Person oder an eine Institution stammt, welche Autorität besitzt.   (Rampage 1994: 118)
 
  Persönliche Autorität setzt somit eine Lebenseinstellung voraus, die den kulturellen Normen für das Verhalten von Frauen völlig ent-gegen steht. Eine unabhängig denkende Frau, die ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestaltet, wird „in der Regel als sonderbar, gefährlich oder sogar bösartig eingestuft“.
  Es sind somit soziale Normen und Erwartungen, die durch ein allgemeines oder formales Einvernehmen unter den Mitgliedern einer Gesellschaft entstehen und dadurch „Frauen davon abhalten, sich selbst als fähige, unabhängige und wissende Personen einzuschät-zen“.   (Rampage 1994: 119)
 
  Rampage verweist dabei auf Gilligan (1984), die aufzeigte, daß Frauen ihre Entscheidungen aufgrund ihres Gefühls, in einem sozia-len Kontext eingebettet zu sein, davon abhängig machen, wie die übrigen Beteiligten von ihnen Betroffen sein könnten.
„Dadurch fällt es Frauen manchmal schwer, ihre eigenen Interessen zu erkennen. Es ist unmöglich, persönliche Autorität durchzuset-zen ohne zu akzeptieren, daß eigene Interessen unabhängig von den Interessen anderer existieren und ihnen möglicherweise sogar widersprechen“.    (Rampage 1994: 121)
 
Die Weigerung, die eigene Autorität zu akzeptieren und danach zu handeln, läßt auf eine konventionelle Interpretation von Verantwortung schließen, eine Interpretation, bei der die Wahrnehmung des Selbst unterdrückt wird.

Diese Interpretation begründet sich in einem moralischem Imperativ der in erster Linie verlangt, „die Rechte anderer zu re-spektieren und dadurch das Recht auf Leben und Selbstverwirklichung [wiederum der anderen] vor Beeinträchtigungen zu schützen“ und bildet ein Dilemma zu dem Gebot, „der Anteilnahme (care), eine Verantwortung, die ´wirklichen und erkennbaren Nöte` dieser Welt wahrzunehmen und zu lindern“.    (vgl.: Gilligan 1996: 124)

Dieses sozialisationsbedingte Dilemma, das die Anwendung von Macht mit dem gleichzeitigen destruktiven Einschränken von anderen verbindet, trifft aber nicht mehr zu, wenn Macht als die Fähigkeit, eine Veränderung hervorzurufen, definiert wird:      „ ... also [als Fähigkeit,] irgend etwas von Punkt beziehungsweise Zustand A nach Punkt bzw. Zustand B zu versetzen. Das kann auch bedeuten, seine eigenen Gedanken oder Gefühle von A nach B zu bewegen, eine Handlung, die manchmal von großer Macht zeugt.“

Macht, wie sie von Frauen ausgeübt wird, geht demnach mit anderen Inhalten, Handlungsweisen und Zielen einher wie wir sie sonst üblicherweise mit Macht verbinden.
Das Wissen und die Möglichkeit, so zu interagieren, „daß die Entwicklung anderer Menschen auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel emotional, psychologisch oder intellektuell gefördert wird“, setzt voraus, „daß Fähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt synchronisiert und verlagert werden, so daß die Entwicklung des weniger Mächtigen in positive, immer kraftvollere Bahnen ge-lenkt wird.“ (Rampage 1994: 54)

Gerade ihre traditionelle Rolle ermöglicht es Frauen, ihre Macht dazu zu benutzen, „die Ressourcen, Fähigkeiten und die Lei-stungs- und Handlungsfähigkeit anderer [und somit deren Macht] zu verbessern“.

„Was mit der Vergrößerung der Macht anderer gemeint ist, dürfte für die meisten schwer nachvollziehbar sein, weil es ganz anders ist als das, was gemeinhin in der ´wirklichen Welt` unter Macht verstanden wird.“
Die Schwierigkeit liegt vielleicht darin, daß der Gedanke, Macht auszuüben und Macht zu vergrößern, üblicherweise verbun-den ist mit der Meinung, das ginge nur auf Kosten anderer.
Somit wird auch die bisher meist übersehene Stärke von Frauen, nämlich ihre Fähigkeit, sich an komplexe Bedingungen der realen Situation anzupassen, deutlich. Das Vermögen, tatsächlich in der Lage zu sein, sich „auf die Umgebung einzustellen und auf die Bedürfnisse der Menschen darin einzugehen“, ist historisch gesehen, „untrennbar von ihrer Aufgabe, die Entwicklung anderer zu fördern und ihre Familie funktionstüchtig zu machen“.
„Insofern bewirken Frauen - meist ohne darüber zu sprechen - eine ganze Menge“ und fühlen sich ganz wohl dabei, ihre Macht einzusetzen - solange sie der Meinung sind, „es zum Wohle anderer zu tun.“   (Rampage 1994: 57)

Dieser oben skizzierte Machtbegriff unterscheidet sich radikal von der bisher für die einzig möglich gehaltene Konzeption von Macht vor allem durch die völlig andere Motivation, Macht auszuüben. „Frauen [Menschen] können vielmehr auf eine Art und Weise mächtig sein wollen, die die Macht der anderen gerade nicht verringert, sondern vermehrt.“
Dadurch wird ermöglicht, sich selbst das Verlangen und das Bedürfnis nach Macht erst einmal einzugestehen ohne gleich Selbstanklage wegen Selbstsucht und Destruktivität betreiben zu können. Es werden somit intrapsychische Ressourcen frei, die es erlauben, nach neuen Wegen zu suchen, „um sich mit anderen Menschen in ihrem persönlichen Leben, in ihrer Arbeit und anderen Institutionen im Hinblick auf Macht zu arrangieren“.    (Rampage 1994: 59)
 

14.   Anders als eine Politik, die sich über bestimmte Ziele, über ein Gesellschaftsmodell definiert, das es zu erreichen gilt,wobei der Gegenwart, dem unmittelbar, intensiv Erlebten eine Übergangsfunktion zukommt, sprechen die Mailänder Philoso-phinnen von einer Politik der Selbsterfahrung, bei der es nicht an erster Stelle darum geht, die äußere Realität, sondern vielmehr sich selbst und das eigene Verhältnis zur Realität zu verändern - was dann natürlich einschneidende Konsequenzen für die Realität nach sich zieht. (vgl.: Libreria delle donne di Milano 1996: 10)

15.   Diese Konzeption vom Subjektivität steht der bisherigen, in der abendländischen Moderne entwickelten Konzeption des Subjekts subversiv entgegen. Bisher dominierte ein Konzept von Subjektivität, „das die Fähigkeit zu Denken, Vernunft, Bewußtsein und Selbst-Reflexivität unabhängig von sozialen und körperlichen Erfahrungen voraussetzt und das ein ahistori-sches, vor-gesellschaftliches und stabiles Selbst als Entität beinhaltet.“  (Kahlert 1996. 111)

16.   Grundlage dieser Forderung ist eine der zentralen Thesen des Differenzansatzes: Der Mensch ist Zwei. Begründet wird diese Forderung mit der Feststellung, daß das traditionelle Denken von Geschlecht sich innerhalb einer Identitätslogik bewegt, in der Weiblichkeit nur als Negation und Komplementarität von Männlichkeit gedacht wird, nicht aber als Positivität an und für sich. Um sich dieser Einheitslogik zu entziehen, müsse die autonome weibliche Differenz erst entdeckt und in die sym-bolische Ordnung eingeschrieben werden. Muraro spricht von der Mutter in einem symbolischen Sinn, in dem die Mutter der Schlüsselsignifikant in einer neuen symbolischen Ordnung und die Beziehung zu diesem Signifikanten die Eintrittskarte ins symbolische ist.  (vgl.: Muraro 1993: 88 und Kahlert 1996: 59)

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