3 DIFFERENZ & HIERARCHIE

Sozialwissenschaftliche Forschung zeigt, wie oben dargestellt, daß die Geschlechterdifferenz grundlegend die gesellschaftliche Herrschafts- und Machtverteilung strukturiert. Geschlechterdifferenz, Subjektivität und Macht sind untrennbar miteinander verbunden. Somit erfordert das Denken der Geschlechterdifferenz die Bereitschaft, sich näher auf die komplexen Dimensionen der theoretischen und philosophischen Hintergründe einzulassen.
Im folgenden möchte ich Überlegungen darstellen, die es ermöglichen, Geschlechterdifferenz und -hierarchie bestimmend zu verändern und berufe mich dabei vor allem auf die Ausführungen von Heike Kahlert, (1996) deren Gedanken ich in diesem Abschnitt weitgehend folge.

Kahlert spricht von zwei Wegen, die derzeit in der aktuellen feministischen Diskussion beschritten werden: „Es handelt sich um die Strategien der Dekonstruktion und der Enthierarchisierung der Differenz.“ Beide Strategien streben „eine Gesellschaft ohne geschlechtlich konnotierte Herrschaft und Unterdrückung“ an, aber momentan scheint ein Dissens in der theoretischen Vorgehensweise zu bestehen.


Die Abschaffung der geschlechtlich geprägten Herrschafts- und Machtstrukturen ist nach der einen Meinung nur durch eine Auflösung der bestehenden Zweigeschlechtlichkeit möglich. Nur durch die Dekonstruktion der Geschlechterdifferenz, - „sei es durch Nicht-Differenzierung oder aber durch eine unendliche Pluralisierung der Differenz“ - ist das Ziel zu erreichen.


Die andere Meinung beharrt darauf, daß „Differenz nicht zwangsläufig mit Hierarchie verknüpft sein müsse“ und plädiert für ein „Denken der Differenz“. Auch hier erscheint die bestehende Zweigeschlechtlichkeit als Problem, doch es wird davon ausgegangen, daß eine andere, eine enthierarchisierte geschlechtsdifferenzierte Ordnung möglich sein könnte.


Heike Kahlert greift an dieser Stelle in die Diskussion ein und macht deutlich, daß nach ihrer Meinung „Dekonstruktion und Enthierarchisierung der Geschlechterdifferenz untrennbar miteinander verbunden sind und nicht als Gegensätze aufgefaßt werden können“. Sie argumentiert, daß Geschlechterdifferenz, als etablierte Kategorie von Machtkritik dazu führt, Differenz als „Ort von Gegenmacht“ zu begreifen. „Methoden von Gegenmacht sind Dekonstruktion und Mimesis, die beide auf einem Denken der Differenz beruhen.“ Kahlert versteht „Dekonstruktion als eine Methode der Enthierarchisierung  von Differenz“ und plädiert dafür, am Differenzgedanken festzuhalten. „Weiblichkeit wird so, mimetisch gewendet, zum Ort von Gegenmacht.“

   (Kahlert 1996: 23)

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3.1  SYMBOLISCHE ORDNUNG

In Anlehnung an poststrukturalistische Ansätze [11] wird die momentan herrschende symbolische Ordnung als zentrale Machtdimension gesehen. Symbolische Ordnungen werden durch Diskurse konstruiert, sie produzieren Bedeutungen. „Der zentrale Ort des Kampfes um Bedeutungen ist das Individium, dessen Subjektivität als diskursives Produkt und diskursiver Prozeß verstanden wird.“ [12]   Differenztheoretikerinnen sehen in der symbolischen Ordnung nicht nur „eine Dimension, die den Subjekten unentrinnbar widerfährt,“ sondern vor allem eine Chance, „Machtverhältnisse zu reflektieren, diskursive Handlungsstrategien zu entwickeln und als unterdrückerisch empfundene Verhältnisse zu verändern“.

(Kahlert 1996: 24)

Mit Bezug auf theoretische Überlegungen Lacans zur Subjektwerdung wird die symbolische Ordnung im Imaginären verortet. Damit ist „die Ebene der Sprache, die Ordnung der Zeichen, die letztlich die Welt strukturiert“ gemeint. Der Eintritt in diese Ebene erfolgt durch den Spracherwerb. Sprache wird dabei - als „Ordnung von Zeichen“ - von der Wirklichkeit getrennt gesehen: Bedeutung entsteht nach Lacan weder durch „die Referenz des sprachlichen Zeichens auf eine außer-sprachliche Wirklichkeit“ noch durch „den situativen Gebrauch von Sprache“, sondern wird durch „die schon immer vorhandene Stellung der Zeichen zueinander produziert“.

(Kahlert 1996: 25)

Die, aus „einer bestimmten Ordnung von Sprache resultierende Differenz (différance)“ ist, nach Derrida, der Ursprung der Unterscheidung und Hervorbringerin binärer Oppositionen wie z.B. Signifikat-Signifikant, Körper-Sprache, Kultur-Natur, Mann-Frau. Différance jedoch füllt die Differenz(en) nicht inhaltlich.
Différance läßt sich als ein „Zwischen“ vorstellen, als eine „Schwelle“, als ein „nicht eindeutig bestimmbarer Ort des Übergangs und der Trennung“, ohne das gesagt werden kann, was sie inhaltlich ausmacht. Sie ist das Prinzip der Unterscheidung und als solches „zutiefst im abendländischen Denken verankert, d.h. wir müssen immer unterscheiden“.

Sprache ist somit, nach Lacan, nicht als Repräsentation anzusehen, „sondern als differentielle Artikulation, als Äußerung der Differenz“. Das Signifikat - die Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens - wird nun erst durch den Signifikanten - der Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens - zum Signifikat und damit mit sich selbst identisch. „Diese Identität muß als Effekt des Signifikanten gedacht werden, sofern dieser den Prozeß der Signifikation als Artikulation, als Spiel der Differenz bestimmt.“

„Die Ebene des Symbolischen ist traditionellem poststrukturalistischem Denken gemäß also ein soziales System, das den einzelnen Subjekten vorausgeht, die erst in der und durch die Sprache konstituiert werden. Präsenz und Identität, der Sinn eines Subjektes oder Objektes, können folglich erst ´nachträglich` und als Folge der différance in der symbolischen Ordnung entstehen.“

(Kahlert 1996: 26)

Dieser Theorie zufolge gibt es kein Denken, kein Handeln, kein Sein, keine soziale Wirklichkeit und keine politische Veränderungen jenseits der symbolischen Ordnung. Machtkritik bzw. die Entfaltung von Gegenmacht kann nach dieser Theorie nur innerhalb der herrschenden symbolischen Ordnung angesiedelt sein.  „Einen Ort der Gegenmacht außerhalb der symbolischen Ordnung gibt es in diesem Denken nicht.“ [13]

(Kahlert 1996: 30)

Dekonstruktion meint in diesem Sinne nicht das Auflösen von Kategorien und Begrifflichkeiten sondern das Auflösen der Hierarchien zwischen den Oppositionen. Dekonstruktion, basierend auf einem Denken der différance beinhaltet eine rekonstruktive Perspektive, die in der Möglichkeit besteht, die Begrifflichkeiten und ihre Verhältnisse durch die Dekonstruktion hierarchischer Oppositionen neu zu bestimmen.
Auf die Geschlechterdifferenz bezogen bedeutet dies: Wenn wir das Mann- und Frau-Werden als Produkt von Sozialisation, also einer symbolisch-sprachlichen Aneignung der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft ansehen, dann können wir uns von den vorgegebenen Mustern und Modellen der Geschlechterdifferenz distanzieren, können nach Alternativen Ausschau halten. Die Chancen für eine Veränderung erstarrter Rollenstereotype, die im Falle patriarchaler Strukturen eine Verbesserung der Situation der Frau mit sich bringen würde, liegt auf der Hand.

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