4 DIFFERENZ & GLEICHHEIT

Konkret zeigt sich dies an den von italienischen Feministinen herausgearbeiteten, hier stark verkürzt dargestellten, drei Ebenen des Differenzdenkens. „Auf der ersten Ebene stellen sie die Lücke zwischen einem von Männern formulierten Verständnis von Weiblichkeit und den eigenen Erfahrungen von Frauen fest, die nicht bzw. nicht nur mit dem traditionellen Weiblichkeitsverständnis übereinstimmen. Dies kennzeichnet die Differenz zwischen den Geschlechtern. Auf der zweiten Ebene können Differenzen zwischen Frauen sichtbar werden und, auf einer dritten Ebene, Differenzen innerhalb jeder einzelnen Frau, d.h. der Charakter des gespaltenen Subjekts.“

(Kahlert 1996: 67)

Die Differenztheoretikerinnen fordern die Sichtbarmachung der Differenz, die Anerkennung einer möglichen anderen Sichtweise oder eines möglichen anderen Bewußtseins von den Dingen. In diesem Sinne ist die Forderung nach Gleichberechtigung viel mehr (oder etwas völlig anderes) als die nach Gleichheit.

Dieser theoretische und politische Versuch der Redefinition der Geschlechterdifferenz aus der Perspektive von Frauen kann als Entwurf einer neuen zweigeschlechtlichen Universalität interpretiert werden. Ein derartiger „inklusiver Universalismus“ besteht auf der Anerkennung der Differenz und ist somit „die feministische Transformation der herrschenden symbolischen Ordnung“.

(Kahlert 1996: 58)

Somit entsteht eine Neu-Konzeption von Gleichheit, die die gleiche Würde zweier autonomer Subjekte vorsieht, indem sie deren spezifische Erfahrungsräume respektiert. Dieser Gleichheitsbegriff geht von den bestehenden Ungleichheiten unter Frauen aus und versucht, eine politische Form zu finden, die vorhandenen Differenzen zwischen Frauen produktiv zu wenden und zu nutzen, ohne den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit zu verabschieden und auf politisch-philosophische Gleichheit zu verzichten.

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4.1 EINE PRAXIS DER UNGLEICHHEIT

Denkmodelle verschiedener Handlungstheoretikerinnen, wie z.B. das der Gruppe des Mailänder Frauenbuchladens (vgl.: Libreria delle donne di Milano 1996), sehen eine Beziehung zwischen zwei Frauen als eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Frauen und beziehen sich dabei auf eine „symbolischen Ordnung der Mutter“. Bei diesem Beziehungsstrukturmodell wird die eine Frau als die „Jüngere“, die andere Frau als die „Ältere“ gesehen, beziehungsweise als Beziehung zwischen einer Frau, die will, und einer Frau, die weiß, beschrieben.  

(Muraro 1993: 24)

Indem sich die eine Frau der anderen Frau anvertraut, ihr ihre Unzufriedenheit mitteilt, gibt sie dieser „eine Vermittlerinnenrolle zwischen ihr, ihrem Begehren und der Welt. (..) Sich einer anderen Frau anzuvertrauen, bedeutet, diese zu autorisieren und sich ihrem Urteil zu stellen“.

(Muraro in Günther 1994: 7)

Andrea Günter (1994: 7) schreibt, im Zusammenhang von „sich anzuvertrauen“ und „Autorität“, von einem „symbolischen Schlüssel für alle Beziehungen unter Frauen“. Ein Mensch hat, „besitzt“ nicht einfach Autorität „qua Position, sondern Autorität ist ein dynamisches Prinzip in einer Beziehung und charakterisiert die Qualität einer Beziehung zu Dingen, Personen, zur Welt“.


Ein Mensch z.B., kann alleine entscheiden, ob die Worte eines anderen Menschen gut für ihn sind. Er braucht diesen Worten nicht Folge zu leisten, daß er ihm aber trotzdem Autorität zuspricht, zeigt sich darin, daß er sich ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt. Sich einem anderen Menschen anzuvertrauen bedeutet demnach, diesen zu autorisieren und sich seinem Urteil zu stellen.


Es ist ein Akt der Liebe, die Autorität eines anderen Menschen anzuerkennen. „Ein Akt der Liebe nicht nur gegenüber dieser anderen Frau, sondern auch sich selbst gegenüber. Subjekt der Liebe ist also diejenige, die Autorität anerkennt. Aber auch diejenige, die sich selbst autorisiert und Urteile fällt.“
Demnach ist es auch nicht möglich, die Anerkennung von Autorität einzufordern. Autorität ist nicht abhängig davon, was der andere gibt und tut, „sondern sie hängt davon ab, was ich gebe und tut.“ 

(Günter 1994: 7)

Menschen müssen sich somit nicht erst selbst verändern, bevor sie in einer Beziehung weiterkommen, denn Autorität als Maßstab einer „Praxis der Ungleichheit“ erlaubt es, jeden Menschen so zu lassen, wie er ist. Und auch andere Menschen und ihr Handeln brauchen deshalb nicht länger als behindernd, als verletzend oder als beschneidend verstanden zu werden, von denen sich ein „schwächerer“ Mensch abgrenzen muß.
Probleme in Beziehungen müssen somit nicht länger als persönlich-psychologisch-individuelle Mängel interpretiert werden, sondern können als persönlich-politisch-strukturelle, „als Ergebnis von mangelhaften Maßstäben und einer fehlenden Praxis“ angesehen werden. Beziehungen, die auf diesem Verständnis von Autorität beruhen, sind für alle Beteiligten konstruktiv.

Das, was der andere sagt und was er tut, hilft einem Menschen unabhängig davon, was er sagt oder tut, dazu, sich über sein Begehren klar zu werden und eine Richtung für sein Handeln zu finden. [14]  

(Günter 1994: 8)

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