5 GESCHLECHT & POLITIK

Die Differenztheoretikerinnen beziehen sich mit ihrem Politikverständnis vor allem auf Hannah Arendt, für die Politik die „Fähigkeit, etwas Neues anzufangen, neue Anfänge zu machen“, ist. Politik „entsteht in dem Zwischen den Menschen, also durchaus außerhalb des Menschen“.

(Arendt 1993: 11 in Kahlert 1996: 188)


Auch Kahlert beruft sich auf auf Arendt wenn sie sagt, das es „keine eigentliche politische Substanz im einzelnen Individium gibt“. Politik etabliert sich demnach als Bezug und „vollzieht sich in dem Bezugsgewebe zwischen den Menschen, das seinerseits aus dem Gehandeltem und Gesprochenem entstanden ist und mit ihm ständig in Kontakt bleiben muß“. Dieses den Einzelnen vorangehende Bezugsgewebe - das Beziehungsgeflecht der Kommunikation und Interaktion - gleicht der symbolischen Ordnung des poststrukturalistischen Denkens, die auch „bereits vor dem Individium existiert und gleichzeitig eine universale Vermittlungsdimension darstellt“. 

(Kahlert 1996: 189)

Differenztheoretische politische Praxis bedeutet in diesem Sinne in die herrschenden Diskurse einzutauchen, „Geschlecht als Kategorie von Analyse, Kritik und Gegenmacht mimetisch zu affirmieren und gleichzeitig den Differenzen zwischen Frauen Rechnung zu tragen“. Die durch die herrschende symbolische Ordnung erzeugten Konstrukte - hier vor allem die Geschlechterkategorien - werden von den so Konstruierten aufgenommen und identitätsbildend umgesetzt; dabei aber verändert und variiert, so daß am Ende etwas anderes - durchaus Zufälliges - dabei herauskommt, als am Anfang zu vermuten gewesen wäre. 

(Rüter 1996: 84)

Oder, mit den Worten der Mailänder Philosophinnen: „Die sich verändernde Realität benennen - präzise benennen, das bedeutet, eine Wette einzugehen auf die Welt und der Welt die Tore zu öffnen für das, was sie an Mehr in sich birgt.“

(Libreria delle donne di Milano 1996: 27)

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5.1 EIN OFFENES BÜNDNIS DER IDENTITÄTEN

Geschlechtsidentitäten lassen sich also als Effekte der Macht im Foucaultschen Sinne verstehen die der symbolischen Ordnung der Differenztheoretikerinnen ähnelt. Geschlechtsidentitäten „entstehen performativ; in dem Moment, wo sie gesagt werden, sind sie produziert; Denken/Sprechen/Handeln und Bedeutung-Erlangen bzw. -besitzen fallen in eins,“ folgert Cristian Rüter. (1996: 86) Performativität wird dabei jedoch „nicht als der Akt verstanden, durch den ein Subjekt dem Existenz verschafft, was sie/er benennt, sondern vielmehr als jene ständig wiederholende Macht des Diskurses, diejenigen Phänomene hervorzubringen, welche sie reguliert und restringiert.“

(Butler in Rüter 1996: 86)

Das heißt dann aber auch - da man sich ja immer innerhalb dieser Machtverhältnisse befindet - daß es unmöglich ist, zu einer Position zurückzukehren, die keine Geschlechtsidentität kennt. Es ist nicht möglich, sich an einen Punkt zu stellen, „der sich jenseits der Machttechnologie befindet, die meinen Körper durchziehen und mich erst als Subjekt und Identität produzieren“. [ 15 ] Folglich muß als notwendiger Schritt zur Überwindung der hierarchisierten und binär strukturierten Geschlechterdifferenz eine „feministische Genealogie“ konstruiert werden. [16]

(Rüter 1996: 86)

Ein weiterer Schritt wäre eine mimetische Affirmation der Geschlechterkategorien im Sinne einer Auflösung der Kategorien, so das sie per Definition unvollständig bleiben könnten. Konkret soll etwa nach Butler auf eine immer auch normierende Festlegung dessen verzichtet werden, was eine Frau ist und was ihre Ziele sein sollen. „Wenn der Feminismus (...) davon ausgeht, daß die Kategorie ´Frauen` ein unbezeichenbares Feld von Differenzen bezeichnet, das keine Identitätskategorie totalisieren oder zusammenfassen kann, verwandelt sich dieser Terminus gerade in einen Schauplatz ständiger Offenheit und Umdeutbarkeit.“
Das Ergebnis davon, daß viele Menschen - nicht nur Frauen - die Einheit von sex, gender und sexuellem Begehren durch Parodie, Ironie und Wiederholung immer wieder als fiktive und konstruierte Einheit entlarven, ist das Erkennen der Illusion einer Substanz, welche ihren Sinn schon in sich trägt. Und durch das Entstehen von „offenen Bündnisen der Identitäten“ wird eine Handlungsfähigkeit ermöglicht, die es auch Männern erlaubt, sich reflektiv mit der eigenen Identität zu befassen.

(Butler in Rüter 1996: 87)

„Die Verunsicherungen , die Männer gegenwärtig in ihren Identitäten erfahren, und die Bemühungen, die sie unternehmen (müssen), um sich selbst unter Bedingungen sich wandelnder Geschlechterverhältnissen neu zu bestimmen, können als Beleg für die beginnenden Neuverhandlungen im Gesellschafts- und Geschlechtervertrag interpretiert werden.“

(Kahlert 1996: 184)

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