"Von einer ernsthaften Beschäftigung mit Perspektiven und Problemen der Informatisierung der Gesellschaft kann bis jetzt kaum die Rede sein. Die Debatte über die ´Informationsgesellschaft` läßt den fortgeschrittenen Stand der Bewußtlosigkeit - Adorno hätte gesagt: die Wirksamkeit des Schleiers - dieser Gesellschaft erkennen."

(Schmiede:7)

Schlag nach bei Marx - oder: Kapitalismus als konservative Restauration

   

Einleitung

"Nach zweihundert Jahren, in denen der Kapitalismus gedacht und kritisiert wurde, ist er ein Sieger ohne Glanz, uns nun offenbar zu einer zweiten Natur geworden," schreiben Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel in der Einleitung des Merkurs. Wo immer man zum Handeln aufgefordert werden kann, "überall hat man es mit kapitalistischem Kalkül, mit Marktrationalität zu tun; kein Plan, kein Handlungsmuster kann ausbrechen aus den Bewegungen des Marktes, die zu antizipieren man gezwungen ist," meint Claus Koch.

(Koch in Bohrer/Scheel:763)

So verwundert es auch nicht, daß das Bewußtsein vieler politischer und wissenschaftlicher Eliten von einem neoliberalen Weltbild bestimmt ist und Probleme sozialer Integration und demokratischer Legitimation nur noch in Kosten-Nutzen-Kalkülen erfaßt werden. "Wer sich den Prämissen dieses Weltbilds unterwirft," schreibt Helmut Dubiel, "sieht sich angesichts der Zwänge eines globalen Kapitalismus mit ´perversen Alternativen` konfrontiert."

(Dubiel in Bohrer/Scheel:797)

Die öffentliche Kolporation möglicher "Bedrohungsszenarien" führte jedoch nur dazu, daß es vielen politischen Kräften nicht mehr um die Erfassung des eigentlichen Problems, sondern (nur noch) um eine bestimmte Leseart des Problems, nämlich, die Bewahrung der Konkurrenzfähigkeit des ´Standorts Deutschland`. "Läßt man sich aber erst einmal auf diese Sichtweise ein, sind die Mittel zur Behebung der Misere quasi schon vorgegeben: Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit durch Senkung der Lohnkosten und Abbau von sozialen Schutzrechten etc," folgert Andreas Boes. [2]

"Politik ist Verfügung von kollektivem Zwang. Wenn man die Wirtschaft von der Politik freistellt, wie es derzeit geschieht, ist das selber Politik. Aus dem Doppelcharakter kommt man nicht heraus," erkennt Streeck in der Zeit und auch Andrea Baukrowitz interpretiert dieses "Unser Standort ist bedroht!"-Szenario als Bestandteil eines politischen Projektes, das sich darum bemüht, "die Weltmarktkonkurrenz zum Transmissionsriemen einer grundlegenden sozialen und politischen Umwälzung zu machen, das in dem Maße, wie es an Dominanz gewinnt, insgesamt in einer Verminderung der Zukunftchancen der Gesellschaft münden wird."

(Baukrowitz/Boes in Klinger:5)

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I. Arbeit & Kapitalismus

Die Tatsache, daß der Mensch, um sich am Leben zu erhalten, arbeiten muß, macht ihn für Karl Marx erst zum gesellschaftlichen Wesen. Erst durch die Arbeit entsteht das, was wir als Gesellschaft bezeichnen. Die Produktion, die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, ist für Marx die Basis des Lebens der Menschen. [3]

(vgl. Korte:48)

Die Definition des Menschen als arbeitendes Wesen schreibt jedoch nicht einen bestimmten Arbeitsbegriff vor, etwa den, auf dem Weltmarkt produktiv zu sein - Arbeit im menschlichen Sinn bedeutet: sinnvolles Tun. Unsere Gesellschaft funktioniert jedoch nicht so, daß wir uns das aussuchen könnten. Wir arbeiten nicht um zu leben sondern in erster Linie weil uns die wirtschaftlichen Verhältnisse scheinbar dazu zwingen.

Fabrikarbeiter ist man nicht von Natur aus, Fabrikarbeiter wurde und wird man auch aufgrund gesellschaftlicher Vorgänge. Das Grundmerkmal einer kapitalistischen Gesellschaft ist "das Entstehen und Vorhandensein einer Klasse, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzt und die sie auf dem Markt an einer anderen Klasse verkaufen muß, die über die Rohstoffe, Arbeitsinstrumente und lebenswichtigen Güter, kurz: über die Produktionsmittel verfügt." [4]

(AGSoz:188)

Das heißt, erst wenn bestimmte Produktionsverhältnisse gegeben sind können Güter als Kapital auftreten. Diese bestimmten Produktionsverhältnisse lassen sich über bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse definieren, "in denen

(vgl. Arbeitsgruppe Soziologie 1992: 191)

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ad a. Gesellschaftsformation

Marx hat herausgefunden, "daß es bestimmte Konstellationen gibt im Verhältnis der Produktivkräfte und der mit ihnen verbundenen Produktionsweisen als Basis und bestimmten Formen des politischen und ideologischen Überbaus." Er nennt diese Konstellationen - Urgesellschaft, Sklavenhalterordnung, Feudalismus [6] , Kapitalismus und Kommunismus - Gesellschaftsformationen.

(Korde:48)

Die Produktionsverhältnisse in ihrer Gesamtheit bilden das, was man die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gesellschaft nennt, und zwar eine Gesellschaft auf einer bestimmten, gesellschaftlichen Entwicklungsstufe. Auch das Kapital, sagt Marx, "ist ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis. (.) Die Lebensmittel, die Arbeitsinstrumente, die Rohstoffe, woraus das Kapital besteht, sind sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht und aufgehäuft worden? Werden sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen zu neuer Produktion verwandt? Und macht nicht eben dieser bestimmte gesellschaftliche Charakter die zu neuer Produktion dienenden Produkte zu Kapital?"

(vgl. Marx:37)

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ad b. Produktionsmittel

"Die Produktion als Basis umfaßt Produktivkräfte und Produktionsmittel." Mit den Produktionsmittel sind - nach Marx - Werkzeuge und Maschinen aber auch Boden und Kapital gemeint. Zusammen mit der menschlichen Arbeitskraft bilden sie die Produktivkräfte der Produktion.

"Am wichtigsten sind dabei die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln." Diese Eigentumsverhältnisse administrieren die Form der Herrschaft, denn "die konkreten Beziehung von Produktivkräften zu Produktionsverhältnissen bestimmen die jeweilige Produktionsweise."

(Korde:48, vgl. auch ad a.)

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ad c. Arbeitskraft

"Die Arbeitskraft ist eine Ware," - sagt Marx - die gegen die Ware Geld in einem bestimmten Verhältnis getauscht wird. Der Tauschwert einer Ware - in Geld abgeschätzt - ist ihr Preis. Der Arbeitslohn "ist also nur ein besondrer Name für den Preis der Arbeitskraft, (.) für den Preis dieser eigentümlichen Ware, die keinen andern Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut."

Wichtig - nach Marx - ist dabei, daß der Arbeitslohn nicht ein Anteil des Menschen an der von ihm produzierten Ware ist. Der Arbeitslohn ist der Teil schon vorhandener Ware [7] , "womit der Kapitalist eine bestimmte Summe produktiver Arbeitskraft an sich kauft." Die Betätigung der Arbeitskraft, die Arbeit, ist aber die eigene Lebenstätigkeit des Menschen, seine eigene "individuelle" Lebensäußerung. [8]

(Marx:23)

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ad d. Marktgesetze

Der Preis einer Ware wird durch die Gesetze des Marktes bestimmt. Ich möchte drei Aspekte dieser Gesetze anhand der Marxschen Definition darstellen.

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Marx unterscheidet zwischen der "Konkurrenz unter den Verkäufern," die den Preis der von ihnen angebotenen Waren herabdrückt, einer "Konkurrenz unter den Käufern", die den Preis der angebotenen Ware steigen läßt und einer "Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern" - die einen wollen möglichst teuer verkaufen, die anderen möglichst billig verkaufen.

"Ist also die Zufuhr einer Ware schwächer als die Nachfrage nach dieser Ware, so findet nur eine geringe oder gar keine Konkurrenz unter den Verkäufern statt. In demselben Verhältnis, wie diese Konkurrenz abnimmt, wächst die Konkurrenz unter den Käufern. Resultat: Mehr oder weniger bedeutendes Steigen der Warenpreise."

Der Warenpreis wird also durch das Verhältnis von Nachfrage zu Zufuhr bestimmt.

(vgl. Marx:29)

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Der Preis einer Ware drückt - in Geld - das Verhältnis aus, worin dritte Waren im Austausch für sie gegeben werden. Steigt der Preis einer Ware aus Gründen einer mangelnden Zufuhr oder einer unverhältnismäßig wachsenden Nachfrage, so ist zwangsläufig der Preis irgendeiner anderen Ware verhältnismäßig gefallen.

"Steigt zum Beispiel der Preis einer Elle Seidenzeug von 5 Mark auf 6 Mark, so ist der Preis des Silbers im Verhältnis zum [Preis des] Seidenzeug gefallen, und ebenso ist der Preis aller anderen Waren, die auf ihren alten Preisen stehengeblieben sind, im Verhältnis zum [Preis des] Seidenzeug gefallen."

(vgl. Marx:30)

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Die Produktionskosten bestehen aus: 1. Rohstoffen und Verschleiß von Instrumenten, d.h. aus Industrieprodukten, deren Herstellung eine gewisse Summe von Arbeitstagen gekostet hat und 2. aus unmittelbarer Arbeit, deren Größenordnung die Zeit ist. Dadurch ist die Bestimmung des Preises einer Ware durch ihre Produktionskosten gleich der Bestimmung des Preises durch die Arbeitszeit, die zur Herstellung eben dieser Ware erforderlich ist.

Mit anderen Worten: Die Produktionskosten der Arbeitszeit sind die Kosten, "die erheischt werden, um den Arbeiter als Arbeiter zu erhalten und um ihn zum Arbeiter auszubilden." Je weniger Bildungszeit eine Arbeit daher erfordert, desto geringer sind die Produktionskosten des Arbeiters, umso niedriger ist der Preis seiner Arbeit - sein Arbeitslohn.

Der Preis der Arbeitskraft wird daher, sagt Marx, "durch den Preis der notwendigen Lebensmittel bestimmt sein, die Produktionskosten der einfachen Arbeitskraft belaufen sich daher also auf die Existenz und Fortpflanzungskosten des Arbeiters."

Bei dieser Kostenberechnung wird der Verschleiß an arbeitenden Menschen volkswirtschaftlich in derselben Weise in Rechnung gebracht, wie der Verschleiß an Maschinen. Dieses gilt - wie auch bei der Preisbestimmung der Waren durch die Produktionskosten überhaupt - "nicht für das einzelne Individuum, sondern für die Gattung. Einzelne Arbeiter, Millionen von Arbeitern erhalten nicht genug, um zu existieren und sich fortpflanzen zu können; aber der Arbeitslohn der ganzen Arbeiterklasse gleicht sich innerhalb der Schwankungen aus."

(vgl. Marx:34)

 

 

Somit ist die Existenz einer Klasse, die scheinbar nicht viel mehr besitzt als ihre Arbeitskraft die zwingende Voraussetzung und zugleich elementarer Bestandteil einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur: "Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig, sie bringen sich wechselseitig hervor."

Ein Wachstum des Kapitals ist daher zwangsläufig mit einem Wachstum des Proletariats bzw. der Arbeiterklasse verbunden. Die Gemeinsamkeit des Interesses von Arbeiter und Kapitalist besteht jedoch einzig und allein in der gegenseitigen Abhängigkeit:

"Und in der Tat! Der Arbeiter geht zugrunde, wenn ihn das Kapital nicht beschäftigt. Das Kapital geht zugrunde, wenn es die Arbeitskraft nicht ausbeutet, und um sie auszubeuten, muß es sie kaufen." [9]

(vgl. Marx: 40)

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