II. Produktion & Kapitalismus

Ausgehend von seiner sozial erfolgreichsten Gestalt, dem "rheinischen Kapitalismus" skizziert Claus Koch die Entwicklung des Kapitalismus als eine "immer mehr als zerstörerische Macht" auftretende Unternehmensform.

Gestützt auf eine überkommene und nochmals verstärkte korporatistische Ordnung, argumentiert Koch, hat der rheinische Kapitalismus "prinzipiell Kooperation aller organisierten Marktteilnehmer verlangt" und damit sogar ein systemfremdes Klammerelement wie die Bundesdeutsche Mitbestimmung erlaubt.

(Koch:767)

Dies änderte sich Ende der siebziger Jahre durch das, nun mit ihren transnationalen Operationen ins öffentliche Bewußtsein tretenden Multis. Die gefährliche Machtkonzentration dieser Multinationalen Großkonzerne, die die Märkte durch (Unternehmens-) Größe und (Umsatz- bzw. Marktanteil-) Masse zu beherrschen suchten, wurde zwar begriffen aber verharmlost. Durch die fast zwanghafte Anhäufung ganz unterschiedlicher Branchen und Produktionssektoren - allein nach dem Anschein der fortschritts- und gewinnträchtigkeit - wurden die vorhergesagten synergetischen Effekte jedoch nicht erreicht - im Gegenteil, viele dieser Multis wurden schwerfällig, und konnten die zusammengestückelte Kapitalkraft nicht unternehmerisch ballen. (.) Ex post gesehen war die Schaffung der Multikonklomerate eine Verlegenheitslösung und wenig produktiv.

Koch beschreibt die Ende der achtziger Jahre erfolgte "Rache der Aktionäre" durch das Aufblühen des "Aktionärskapitalismus" anhand dessen musterbildenden Operationsform: der "feindlichen Übernahme". Damit ist "der Kauf eines Unternehmens auf Pump" gemeint, "um aus dem Erlös seiner einzelnen Bestandteile die Schulden zu bezahlen." Der einzige Zweck dieser archaischen, an Kannibalismus erinnernde Verhaltensweise war "den kurzfristigen Wert des Unternehmens zu erhöhen, auf Kosten der langfristigen Unternehmenszwecke und des erworbenen Vertrauens auf dem Markt.

(Koch:768)

Den "Agenturen der Aktionärsaggregate" gelang es damit, "den Kapitalwert selbst, mit seinem unstillbaren Steigerungshunger, zum organisierten Hebel der Rationalisierung zu machen." Alle Einzelbetriebe und -aktivitäten eines Unternehmens müssen vorrangig bestimmte Rentabilitätsstandarts erfüllen - Zerstörung und Zerschlagung unrentabler Einheit gilt "als Erweis der Rationalisierungspotenz zum Nutzen der Anleger" und gehört zur modernen Marktstrategie. [10] Diese neuen Konzernriesen "befinden sich daher in einem Dauerzustand der Verflüssigung, wechseln immer wieder ihre Produkt- und Leistungsprofile." Die zunehmende Globalisierung bietet dieser Kapitalismusvariation zudem die, von keiner nationalen Macht mehr zu reglementierenden Möglichkeit, ihren "unzähmbaren Drang" auszuleben, "jede Sozialform so lange zu kneten und umzuprägen, bis sie ganz marktförmig geworden ist und nicht mehr ihren eigenen Gesetzen angehört."

(Koch:769)

Ironie der Geschichte ist es, daß ausgerechnet die technisch am weitesten entwickelte Computer-Industrie zur Transformation der Industrie- zur Informationsgesellschaft antreibt. Die Erfindung und die Weiterentwicklung des Computers beschleunigt Rationalisierungsprozesse und bedeutet aktive Teilnahme am Fortschritt. Er läßt sich "als das Schlüsselelement einer produzierenden und produktiven Gesellschaft, also doch noch einmal als Werk-Zeug der Industriegesellschaft" verstehen.

(Koch:769)

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Kapitalistische Produktionsweise

Grundlage und Ausgangspunkt dieser Hausarbeit ist meine Überzeugung, daß die Lebensverhältnisse der Menschen wesentlich durch die Art und Weise ihrer Lohnarbeit geprägt und strukturiert sind. Im folgenden versuche ich, Arbeit - und insbesondere informatorische Arbeit - unter verschiedenen Blickwinkel als gesellschaftstheoretische Schlüsselkategorie zu betrachten und stütze mich dabei vor allem auf Ausführungen von Rudi Schmiede, dessen Gedanken ich in diesem Abschnitt weitgehend folge.

Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) begleitet die kapitalistischen Produktionsweise und steht im inneren Zusammenhang mit ihr. Ich möchte im Rahmen dieser Hausarbeit zeigen, daß dies nur der vorläufige Höhepunkt einer Strukturveränderung in der Produktionsweise ist und zugleich mit Andreas Boes fragen: " . ob mit dem Übergang zur Informationsgesellschaft eine so weitgehende Unterordnung der Arbeit unter das Kapital im konkreten Arbeitsprozeß zu erwarten ist, daß das Projekt der Emanzipation des Menschen keine grundlegenden Impulse mehr zu erwarten hat." Angesichts dieser umfassenden Fragestellung beschränke ich mich im folgenden auf eine kurze Darstellung dieser Entwicklung und möglicher Folgen.

(Boes b:1)

"Daß der Kapitalismus funktioniert, erweist der - global gesehen - nicht mehr zu brechende technische Fortschritt, der ein rasches Veralten von Produktionstechniken und Organisationsformen der Arbeit mit sich bringt," konstantiert Koch [11] und auch die Europäische Kommission (EK) erkennt inzwischen die Zeichen der Zeit auf ihre Art, wenn sie in ihrem Grünbuch schreibt:

"Derzeit erleben wir eine historische Epoche des technologischen Umbruchs, der durch die Entwicklung und die zunehmende Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) hervorgerufen wird."

(EK:1)

Dabei sollte meiner Meinung jedoch nicht übersehen werden, daß damit zugleich eine qualitative Veränderung der kapitalistischen Gesellschaftsformation - also jenes gesellschaftliche Stadium, das bisher in Anbetracht der Unklarheiten über das Wesentliche mit dem Anhängsel ´post` versehen und je nach Standpunkt als post-fordistisch, post-modern oder post-industriell bezeichnet wird - einher geht.

(Boes a:1)

Das es dabei um die Durchsetzung neoliberaler Konzepte geht, deren Leitvorstellung von der Prämisse ausgehen, "daß die technologische Entwicklung - wenn man sie nur unter ´Marktbedingungen` möglichst friktionsfrei zur Entfaltung kommen lasse, - (angeblich) automatisch eine positive Entwicklung zu mehr wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlichem Wohlstand" bringen ist nicht zu übersehen und ein schlichtes "Heilsversprechen".

Der Kern dieser Entwicklung ist eine "qualitative Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsprozesse: die Informationsebene, die seit Beginn der kapitalistischen Entwicklung eine zunehmende Bedeutung zur Steuerung und Kontrolle der Produktionsprozesse erfährt, erhält mit der Schaffung eines informationstechnisch gestützten Informationsraums [12] eine neue Gestalt." [13]

Die Europäische Kommission stellt weiterhin fest: "Die IKT sind bereits voll in unseren Alltag eingezogen; ihre nützlichen Hilfsmittel benutzen wir zu Hause, am Arbeitsplatz - kurz gesagt überall. Die Informationsgesellschaft liegt nicht irgendwo in der Zukunft, sie existiert bereits im täglichen Leben."

(EK:1)

Das zeigt sich nicht nur in der "Ausbreitung der Computertechnologie und der zunehmenden Bedeutung immaterieller Produkte," sondern ist auch bei der Verschiebung der Arbeitskräftestruktur und dem Wandel der Branchenstrukturen, den Veränderungen der Wertschöpfungsketten, der Konsummöglichkeiten und den Kommunikationsmedien zu beobachten.

(Boes a:1)

"Die Einbettung der neuen Technologie in den Kontext historischer Entwicklung erleichtert es, den Gesamtprozeß in den Blick zu bekommen und dafür ein theoretisches und begriffliches Verständnis zu entwickeln."

(vgl. Schmiede:16)

"Im Zuge der Entwicklung der modernen, kapitalistischen Produktionsweise und der Durchsetzung sowie Optimierung bestimmter Produktions- und Verteilungsvorgänge im Rahmen lohnabhängiger Arbeit - so die These von Schmiede - wird ein zunehmender Teil dieser Denkarbeit in einem Informationsverarbeitungsprozeß transformiert und von dem Verrichtungsprozeß der Arbeit getrennt; ein Prozeß, der bildhaft - wenn auch etwas "schief" - als Trennung von Hand- und Kopfarbeit [14] bezeichnet wird."

(Baukrowitz/Boes:132)

Damit ist eine Akkumulation empirischen Wissens über den Einsatz der menschlichen Arbeitskraft sowie deren mögliches Leistungspotential gemeint - die systematische Akkumulation eines umfassenden Wissens über lebendige Arbeit und deren Einsatzbedingungen in Form einer entwickelten Zeitökonomie. "Die Herrschaft über diese Kenntnisse und ihre Anwendung konstituiert eine unabdingbare Basis für die weitere Akkumulation des Kapitals im 20. Jahrhundert."

(S/S in Schmiede:21)

Für Schmiede beschreibt "Saint-Simons berühmter Satz über die Ablösung der Herrschaft von Menschen über Menschen durch die Verwaltung von Sachen, der durch Engels zum Charakteristikum einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft erhoben wurde, in Wahrheit ein zentrales Moment der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise," denn: "Erst durch die (.) systematische Erhebung von Produktionsdaten in ihrer zeitlichen Struktur (.) wurde die Zentralisierung der relevanten Informationen über die Zeit- und Kostenstruktur der industriellen Produktion organisatorisch und technisch überhaupt möglich. (.) Die Entstehung und Ausbreitung der modernen Betriebsorgansation, deren grundlegende Prinzipien von Taylor formuliert wurden, (.) ist also in ihrer wichtigsten Dimension als Etablierung eines umfassenden hierarchischen Informationssystem zu begreifen."

(Schmiede:22)

Der Kern der Taylorschen Doktrin besteht "in der Trennung von Wissen (der Verfügung über die Erzeugung, die Manipulation und die Verwendung von Information als Basis der Möglichkeit der Disposition (also von Herrschaft) einerseits, von Ausführungen als abhängige Tätigkeit, die dadurch zum Gegenstand eines Informationsprozesses und damit beherrschbar wird, andererseits."

(Schmiede:22)

Für Marx beginnt dieser Scheidungsprozeß "in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt" - der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit voneinander getrennt.

(Marx b: 383)

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Information als produzierte Ware

In diesem Zusammenhang stellt die "sogenannte wissenschaftliche Betriebsführung (.) den Versuch dar, alle Ausprägungen der Persönlichkeit, die für den Arbeiter wie für den Vorgesetzten als individuelle Person charakteristisch sind, als Störfaktoren auszuschalten."

(Schmiede 40)

"Solange die Arbeit (wie in den traditionellen handwerklichen und bäuerlichen Tätigkeiten) wesentlich erfahrungsgeleitet war, war Denken ihr selbstverständlicher, zu ihrem alltäglichen Vollzug gehöriger Bestandteil. Mit der Abspaltung der herrschaftswichtigen Dimensionen der Kopfarbeit wird das ihr gehörige Wissen in wichtigen Teilen zu wissenschaftlichem und in dieser Form nur einem beschränkten Personenkreis zugänglichem Wissen; der Umgang mit diesem Wissen nimmt die Form der Erzeugung und Bearbeitung von Informationen an. Information und Wissen werden Prinzipiell von der Person getrennt, werden - da nach allgemein logischen Regeln gebildet - überpersönlich, quasi öffentlich, auch wenn sie vielfach privatem Zugang vorbehalten bleiben.

Nicht nur die traditionelle, unmittelbar mit materiellen Bearbeitungsvorgängen beschäftigte Tätigkeit der Industriearbeiter, sondern auch - und eher stärker ausgeprägt - die Arbeitstätigkeit der neuen "Informationsarbeiter", nämlich weiter Schichten der Angestellten- und Beamtenschaft sowie einer zunehmenden Zahl von Arbeitern, besteht im Vollzug einzelner Elemente eines größeren formalen Systems."

(Schmiede:43)

Die Informationsproblematik - so läßt sich die hier vertretene These zusammenfassen - "ist historisch mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise entstanden und mit ihrer Ausbreitung beschleunigt angewachsen. Dies gilt sowohl für die unmittelbare Kontrolle der lohnabhängigen Arbeitskraft und der Dimension ihres Einsatzes als auch für die mit der Höhe der Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals bzw. der Durchsatzgeschwindigkeit im Produktionsprozeß entstandenen Kontroll- Regelungs- und Steuerungsprobleme. Die Entstehung der modernen Unternehmensorganisation und des modernen Managments, der bürokratisch-rationalen Organisationsform und großer Teile der Angestellten- und Beamtenschaft als ihr Träger ist ohne diesen realen Hintergrund nicht zu verstehen."

(Schmiede:25)

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III. Information & Kapitalismus

"Von einer ernsthaften Beschäftigung mit Perspektiven und Problemen der Informatisierung der Gesellschaft kann bis jetzt kaum die Rede sein. Die Debatte über die ´Informationsgesellschaft` läßt den fortgeschrittenen Stand der Bewußtlosigkeit - Adorno hätte gesagt: die Wirksamkeit des Schleiers - dieser Gesellschaft erkennen."

(Schmiede:7)

 

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Überlegungen, um sich einem theoretischen Verständnis von Information zu nähern:

Information ist eine konditionale Aussage über einen Sachverhalt unter bestimmten, definierten Randbedingungen und - falls es sich um ein Ereignis handelt - aufgrund eines bestimmten gegebenen Impulses", zugleich sind Informationen [15] eine "auf die Manipulation der Sachverhalte gerichtete Formveränderung gedanklicher Inhalte, die generelles Charakteristikum und Ergebnis der Durchsetzung formaler Rationalität ist."

(Schmiede: 20)

 

"Der um sich greifende Gebrauch des Begriffs der Information signalisiert (.) die Umwandlung von Erfahrung und Wissen in Information, also in durch Isolierung der Randbedingungen eindeutig konditionale Aussagen. Sie werden der mathematischen Manipulation zugänglich, als Rechenoperationen formalisierbar und bilden in dieser Form die Basis für ihre technische Bearbeitung.

Die Ausbreitung der realen Bedeutung von Information läßt sich mit anderen Worten also als Tendenz der universalen Umsetzung von Inhalt in Form, der Umformung komplexer Realität in Gegenstände der zweiwertigen Logik fassen. Zahlen, Wörter, Bilder, Klänge - mithin [alle] die der Sinneswahrnehmung und dem menschlichen Denken vertraute Dimensionen der Realität - werden in Folgen digitaler Zahlen transformiert, die wiederum als elektrische Schaltvorgänge ausgedrückt werden können."

(Schmiede: 25)

Information ist, sagt Schmiede, "die digitale Symbolisierung divergierender materieller Realitäten durch die Abstraktion von ihrem Inhalt und durch seine Umsetzung in reine Form. Der Umgang mit Information - ihre Erzeugung, ihre Manipulation, ihre Kommunikation und ihre Umformung in Entscheidungen nach bestimmten Rationalitätskalkülen - bedeutet also die Veranlassung [von] ihrem Wesen nach formaler Prozesse".

(Schmiede: 25)

 

Die Abbildung von Realität durch abstrakte Funktionszusammenhänge und die indirekte Veränderung von Realität durch die Formveränderung dieser Zusammenhänge erfordert die regelgeleitete, je nach Schwierigkeit der Aufgabe sogar souveräne Beherrschung dieser Abstraktionsschritte und -ebenen. Sie ist wesentlich Umgang mit Abstraktion, gekennzeichnet von dem steten Bemühen um Eliminierung aller Kontigenzen zugunsten der reinen Form, sie ist ihrem Inhalt nach mithin im wörtlichen Sinn abstrakte Arbeit." [16]

(Schmiede: 26)

 

"Charakteristisch für die Abstraktion von materieller Realität, die mit der Formulierung von Algorithmen als rein symbolischen Zeichenketten und Operationen vollzogen wird, ist die Konstruktion eines formellen Modells dieser Realität als neuer, eigenständiger Wirklichkeit.

Der Zugang zu der vorgefundenen Realität und ihre Veränderung erfolgt nicht mehr unmittelbar, sondern durch verändernde Operationen im formellen System, die dann die steuernde Regel für die Umformung der Wirklichkeit abgeben. Wir haben es mithin mit einer strukturellen Verdoppelung von Realität zu tun: Neben und über die konkrete Realität tritt die zweite des formalen Systems, das von der ersten abstrahiert wurde; gleichwohl ist diese zweite Realität nicht weniger wirklich als die erste, denn sie ist als reine Form unabhängig von der ersten existensfähig und veränderten Operationen zugänglich." Schmiede spricht hier von einer neuen "Dimension der Herrschaft des Formalen als Kernprozeß der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise ."

(Schmiede: 29)

"Wenn die jeweiligen inhaltlichen Bedingungen dem Formalismus völlig äußerlich sind, dann muß dieser mehr sein als die bloße Abstraktion von inhaltlichen Bindungen, dann muß er etwas eigenes sein. Eine Abstraktion ist nicht länger mehr eine Theorie über einen konkreten Gegenstand." Sie ist eine eigene Wirklichkeit, die fortan unabhängig von der übrigen Wirklichkeit existiert."

(Holling/Kempin in Schmiede: 32)

"Schon Max Weber - schreibt Schmiede - hat in seiner Analyse der formalen Rationalität gezeigt, daß diese gewissermaßen zweckoffen ist, ihre Zielsetzung aus einem anderen Bereich (Weber sah ihn in der materiellen Rationalität) erhalten muß.

Ähnlich stellt sich in der Diskussion über das Entscheidungsproblem in der mathematischen Logik heraus, daß jedes formale System - will man nicht in einem infinitiven Regreß der Verlagerung auf immer neue Ebenen enden - einer Metaebene bedarf, auf der in einem anderen Bezugsrahmen Entscheidungen möglich sind.

Der zweckoffene Charakter des Formalen macht es gerade adaptierbar für die Zwecke der Kapitalverwertung; diese selbst ist ja reine gesellschaftliche Form, die in rein sachliche Zusammenhänge verwandelte Form sozialer Beziehungen. (Daß Kapital nicht ein Ding, sondern ein soziales Verhältnis ist, ist der Kern der Marxschen Kapitalanalyse.)"

(Schmiede: 32)

 

Statt der sozialen Fähigkeiten zur gesellschaftlichen Vermittlung und Integration sind zunehmend die Fähigkeiten zur Systembedienung - ob in der Arbeit oder im Konsum, im Umgang mit Institutionen oder im Alltag - gefordert. "War schon die Umwandlung des arbeitenden Menschen in eine lohnabhängige Arbeitskraft - die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise - die Trennung der eigenen Person in Subjekt und Objekt, d.h. die Selbstentfremdung, die Lebensbedingung, so wird in der modernen, informatisierten Gesellschaft diese soziale Formierung der Individuen auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausgedehnt.

Erst die Aufspaltung der eigenen subjektiven Identität in I and Me (Mead), in je und moi (Lacan), durch die der Objektcharakter der eigenen Person in die Persönlichkeitsstruktur hineingeholt wird, das Subjekt sich selbst objektiviert, wird dieses selbst gesellschaftlich.

In der Entqualifizierung von Raum und Zeit als grundlegende menschlichen Erfahrungsformen durch ihre Umwandlung in Bewegung und Geschwindigkeit bzw. abstrakt-lineare Uhrzeit wird die gewaltsame Etablierung der Form gegen den Inhalt als beherrschende Realität des Prozesses der Zivilisation deutlich sichtbar."

(Schmiede:37)

"Als formales Abbild der realen Welt ist auf diese Weise eine künstliche Welt entstanden, die in der Folge aber - darin ist sie Realabstraktion, und darin besteht der Kern der Herrschaft der Form über die Realität - zugleich die Formierung der materiellen inhaltlichen Realität übernimmt."

Die Rückübersetzung formaler Prozesse in Anschauungen (Simulationen) erreicht hierdurch einen Grad von Komplexität und Realitätsnähe, der sie in durchaus chancenreiche Konkurrenz zur vorgefundenen Realität treten läßt. Die Gefahr des Verlustes des Dokumentarischen in der virtuellen Gesellschaft ginge in letzter Konsequenz mit dem Verlust der Fähigkeit umher, zwischen Realität und Virtualität uberhaupt unterscheiden zu können.

(Büll:9)

 

Optionen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Und da ist er wieder, der rote Faden, der die so unterschiedlichen Kapitalismuskritiker und -skeptiker heute wie vor hundert Jahren verbindet: Ein entfesselter Kapitalismus zerstört sich selbst. Er ist kein Wertesystem an sich, sondern nur durch andere Werte in Schach zu halten. Den falls der einzelne Privatmann/frau und das einzelne Unternehmen alle Möglichkeiten ausreizen und den Staat als Ordnungshüter hoffnungslos überfordern, geht schließlich die Marktwirtschaft selbst kaputt. Karl Marx hoffte auf diese Entwicklung. Heuser-Zeit

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Epilog:

"Wer ... einmal aus der Gewißheit herausgefallen ist, daß er mittels geisteswissenschaftlicher Bildung die gegenwärtige Welt zureichend wahrnehmen kann, der hat eine Verletzung fürs Leben. Wer diese Gewißheit nie hatte, ist allerdings nur wenig besser dran."

(Kaiser in Staub-Bernasconi: 75)

 

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