Schriftliche Ausführung zu meinem Referat in der Schwerpunktveranstaltung

Ich möchte in meinem Referat eine bestimmte Beobachtungs- und Handlungstheorie vorstellen, mit deren Hilfe sich systemische Familieberatung verwirklichen und erweitern läßt.

Ich möchte feministische Theorien beschreiben, wie sie zum Beispiel von Marianne Walters und anderen veröffentlich wurden.

 

Für Feministinnen ist es vor allem wichtig, zu erkennen, daß das Geschlecht die Grundkategorie ist, nach der alles was Familie und Gesellschaft betrifft, organisiert ist.

 

Mit dem Wort Geschlecht sind die biologischen Merkmale der Menschen gemeint. Wenn aber von männlichem oder weiblichem Verhaltensmerkmalen oder Verhaltensfähigkeiten die Rede ist, dann ist damit das soziale Geschlecht gemeint. Ein weiblicher Mann beziehungsweise ein männlicher Mann.

So ist mit der biologischen Komponente zum Beispiel die Gebärfähigkeit von Frauen angesprochen, und mit der sozialen Komponente die Rollenerwartung, die an das jeweilige Geschlecht verknüpft ist.

Es ist sehr wichtig, beide Komponenten des Geschlechtsbegriffs zu erkennen und zu trennen --- ( nämlich die biologische beziehungsweise soziologische Komponente ---

und sich darüber klar zu sein, das der Zusammenhang immer nur gesellschaftlich vorgegeben - und nicht gottgewollt oder gar natürlichen Ursprungs ist.

Die Geschlechterrollen sind innerhalb unserer Gesellschaft zur Zeit so verteilt, daß Männer die dominante und Frauen die untergeordnete Position erhalten. Deshalb werden auch die Aufgaben, die den Männern zugeordnet werden als die wertvolleren und die Aufgaben der Frauen als die minderwertigen angesehen.

Innerhalb einer Beratung möchte ich den Einfluß des Geschlechts auf drei verschiedenen Ebenen beschreiben.

Und zwar auf der symbolischen Ebene, der Ebene der Arbeitsteilung und der Ebene der Identitätsfindung.

Welches Symbol wertvoll ist oder nicht, wird in und durch Religionen, Schöpfungsmythen, Familientradtionen und ähnlichem festgelegt. Daraus werden im laufe der Sozialisation Normen und Werte abgeleitet, die jedem klarmachen sollen, was zum Beispiel ein guter Mann oder eine gute Frau ist.

Zur symbolischen Ebene gehört vor allem die Sprache. Sie spielt eine der wichtigsten Rolle bei der Übermittlung von geschlechtsspezifischen Normen und ist deswegen besonders zu beachten.

Gerade in der Beratung ist das wichtig, denn in der zur Zeit vorherrschenden Grammatik wird die männliche Sprachform als die universelle dargestellt. Dadurch wird sprachlich die Asymmetrie der Geschlechter untereinander verfestigt.

 

Und weil Geld ein Mittel zur Macht ist, wird an diesem Beispiel - finde ich - das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern besonders klar erkennbar .

In bestimmten modernen gesellschaftlichen Subkulturen gab es zwar ----- in den letzten Jahren ---- einige Veränderungen im familiären Bereich, aber das Ungleichgewicht ist immer noch beeindruckend.

Frauen bekommen heutzutage zwar weniger und vor allem später als noch vor 25 Jahren Kinder.

Und vor der Mutterschaft waren sie meistens berufstätig. Sie - beziehungsweise ein großer Teil von ihnen hat aber inzwischen ein anderes Bewußtsein über ihre Rechte. Ein Beispiel ist die ansteigende Ehescheidungbereitschaft.

Aber auch, daß die Qualifikation und Häufigkeit der Berufstätigkeit bei Frauen angestiegen ist, ändert nichts daran, daß immer noch sie als die Verantwortlichen für Beziehungsarbeit in der Familie gelten.

Dazu trägt besonders viel der gut genährte Mythos der Mütterlichkeit bei, der jeder Frau vorschreibt, daß der Platz einer Mutter bei ihren Kindern zu sein hat.

Ein weiterer Mythos der zur Zeit herrschenden. patriarchalen Familienorganisationsvariante ist der, daß Frauen für die gefühlsmäßige Arbeit und Männer für die zweckgebundene Arbeit zuständig seien.

Die Identitätsfindung eines Menschen läuft gewöhnlich über die Nachahmung oder Ablehnung bestimmter ------- Geschlechtsrollenvorstellungen oder Geschlechtsrollenverhalten, ------------ die er bei bestimmten Bezugspersonen während seiner Kindheit und im sogenannten Erwachsenenalter erlebt.

Das männliche und weibliche Kindern ihr soziale Umwelt unterschiedlich erleben, wird darauf zurückgeführt, daß Frauen zum Beispiel weitgehend alleine für die Betreuung von Kleinkindern verantwortlich sind.

 

Die Folge davon ist,

daß von Kindern die weibliche Persönlichkeit beziehungsweise das weibliche Geschlecht mehr - im Hinblick auf - und - in Verbindung mit - anderen Menschen definiert wird als die männliche Persönlichkeit bzw. Geschlecht.

Die Mädchen erleben sich dadurch ähnlich wie ihre Mutter und bleiben in Verbindung mit ihr. Die Jungen trennen sich, indem sie sich als männlich und somit als anders definieren.

Dem entsprechend gelangen Jungen eher zu Autonomie und Grenzsetzung, während Mädchen eher in Abhängigkeit oder, anders gesagt, in Verbindung bleiben.

Durch die Anwesenheit der Mutter und die Abwesenheit des Vaters kommt es demnach zu unterschiedlichem Beziehungsdenken und Beziehungsverhalten der Kinder.

Weil diese Aspekte der unterschiedlichen männlichen und weiblichen Identitätsfindung häufig nicht beachtet werden, wird die menschliche Identitätsfindung mit der männlichen Entwicklung gleichgesetzt.

Das führt dazu, daß unter allgemeiner Reife Autonomie verstanden wird und somit gleichzeitig weibliche Entwicklungsaspekte als minderwertig gelten.

Denn:

Allgemein menschliche Fähigkeiten wie Bindungsfähigkeit, Trennungsfähigkeit, Differenzierungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und viele andere, werden in männliche und weibliche Fähigkeiten getrennt.

Erik Erickson, zum Beispiel, bewertet in seinem Entwicklungsstufenmodell die Fähigkeit des Menschen zur Autonomie höher wie dessen Bindungsfähigkeit.

Damit wird die Beziehungsarbeit von Frauen abgewertet und der Frau in der ihr zugeteilten Rolle keine Reife zugesprochen, denn nur Autonomie gilt ja als Zeichen einer ausgereiften Persönlichkeit.

Dadurch aber, daß Frauen, gerade durch ihre Verbindungsfähigkeit, mehr am Leben von anderen Menschen teilnehmen, entwickeln sie eine größere Sensibilität und damit ein größeres Verantwortungsgefühl für andere Menschen.

In Bezug auf die weibliche Identität bedeutet dies, daß das "Ich-Gefühl" der Frauen auch auf die Fähigkeit zurückgeführt werden kann, Beziehungen einzugehen und aufrecht zu erhalten.

Der drohende Abbruch einer Beziehung bedeutet damit auch für sie etwas anderes. Er kann die Angst vor einem Identitätsverlust auslösen.

In der einer feministisch orientierten systemischen Familientherapie bedeutet dies nun nichts anderes, als das Geschlecht als eine wesentliche Quelle des Verhaltens anzusehen.

Es geht also darum, zu Erkennen, daß Frauen weniger Zugang zu gesellschaftlichen und wirtschaftliche Ressourcen haben.

Und das bedeutet, zum Beispiel für mich als Berater, daß ich die gesellschaftlichen Erwartungen, die an Frauen und Männer beziehungsweise an Jungen und Mädchen gestellt werden, in Frage stelle und in der Beratung versuche, auf die unterschiedliche Sozialisation aufmerksam mache.

Ein weiterer Aspekt in der Beratung ist damit auch das "Sichtbar" machen der Rollenkonflikte in Bezug auf die Überlastung der Frau in ihrer Verantwortlichkeit innerhalb der Familie. Sozusagen das unsichtbare sichtbar machen.

Ich meine damit unter anderem das Anerkennen und Bestärken von Werten und Verhaltensweisen, die "frauentypisch" sind. "Frauentypische" Werte und Verhaltensweisen sind zum Beispiel Verbundenheit, Fürsorglichkeit und Emotionalität.

Feministische Theorieentwürfe sehen zudem vor, die Ideologie der Familie im allgemeinen zu hinterfragen und fördern die Unterstützung und Anerkennung von Lebensmöglichkeiten auch außerhalb von Ehe und Familie.

Wenn ich also von Feminismus rede, dann meine ich damit im - in Anlehnung an Marianne Walters - eine Weltsicht, die sich mit den Rollen, Regeln und Funktionen befaßt, mit denen die Interaktionen zwischen Frauen und Männern organisiert werden.

Feminismus ist in der Familientherapie also keine besondere Technik.

Es ist vielmehr ein Prozeß, bei dem es um das Erkennen des untergeordneten Status von Frauen und einer Analyse der spezifischen Formen und Ursachen dieser Ungleichheit geht.

Eine feministische Sicht der Familie bedeutet, die familiäre Beziehungen aus einem erweiterten Blickwinkel zu beobachten und zu verstehen lernen.

Er führt somit zu einer Wahrnehmungsveränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Aus einem systemischen Blinkwinkel, zum Beispiel, sehen BeraterInnen das Verhalten einer nörgelnden Ehefrau und eines sich zurückziehenden Ehemannes nicht isoliert als persönlichen Charakterzug an, sondern als ein Ereignis, das im Kontext ihres Beziehungssystems gesehen werden muß!

Wenn BeraterInnen dann noch die feministische Sicht einbeziehen, werden sie von der ausschließlich zwischenmenschlichen zu einer politischen Betrachtungsweise wechseln. ----

"Nörgeln" wird dann als ohnmächtiges Verhalten und "Rückzug" als Machtausübung angesehen!

Diese Sicht wird die angestrebten therapeutischen Ziele und die ausgewählten Interventionsstrategien beeinflußen. Denk ich mir mal.

 

 

 

 

Dorothy Wheeler und andere stellen in dem Buch "Feministische Familientherapie in Theorie und Praxis" ein Beratungsmodell vor, das ich hier kurz ansprechen möchte.

Der Rahmen ihres Konzeptes einer Beratenden Tätigkeit bilden die Wahrnehmungs- konzeptions- und aktionsbezogenen Fertigkeiten der BeraterInnen.

Wahrnehmungs- und konzeptionsbezogene Fertigkeiten sind diejenigen, die im Kopf von TherapeutInnen vorhanden sind.

"Wahrnehmung" bezieht sich damit auf die Fähigkeit der BeraterInnen, sachgemäße und zutreffende Beobachtungen zu machen. ---

während "konzeptionsbezogen" den Prozeß der Zuordnung von Bedeutung zu Beobachtung oder der Anwendung früherer Erfahrungen auf die spezifische beraterische Situation meint.

War das eben verständlich?

Zusammen stellen "Wahrnehmungs- und konzeptionsbezogene Fertigkeiten" die inneren, kognitiven Methoden dar; ------ in der Praxis hängen sie so eng zusammen, daß sie schwierig auseinanderzuhalten sind.

Aktionsbezogene Fertigkeiten beziehen sich auf die Handlung oder Reaktion der BeraterInnen ---- also sowohl die innere gefühlsmäßige Reaktion der BeraterInnen als auch die konkrete beratende Handlung.

Wegen der engen Beziehung zwischen Denken und Handeln ist das beratende Vorgehen abhängig von einer angemessenen wahrnehmungsbezogenen und konzeptionellen Basis.

Es können nun also drei Bereiche getrennt von einander betrachtet und diskutiert werden, die in der alltäglichen Praxis ein geschlossenes Ganzes bilden, -- wobei der eine Bereich jeweils ein notwendiges Fundament für den anderen dastellt.

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